Eine Baustelle, ein zerstörtes Haus, ein leeres Schaufenster folgt dem nächsten. Handwerkerwagen und Bauschuttcontainer reihen sich an den Straßenrändern aneinander. Dort, wo in anderen deutschen Städten Tannenbäume, Lichterketten und Straßenmusiker vom baldigen Weihnachtsfest künden, erzählen in Heimerzheim Staub und Lärm eine ganz andere Geschichte. Denn Heimerzheim ist der größte Ortsteil der Gemeinde Swisttal und liegt somit mitten im Gebiet der Flutkatastrophe, die Teile Nordrhein-Westfalens im Sommer 2021 erreichte. Am 14. und 15. Juli änderte sich plötzlich alles – riesige Wassermassen überfluteten weite Teil des südlichen Rheinlandes. Viele Menschen verloren ihre Häuser, ihre Existenzgrundlage, 49 Menschen kamen ums Leben, viele Einwohner verloren ihre Häuser, ihre Existenzgrundlage – von einem auf dem anderen Moment.
In Heimerzheim kam das Wasser von allen Seiten – aus dem Bach Swist und von den Feldern. So berichtet es Tobias Leuning, der selbst mitten im Ort wohnt. Er ist Ratsmitglied in Swisttal und Kreistagsabgeordneter im Rhein-Sieg-Kreis, versteht sich im Kontext der Hochwasserkatastrophe aber eher als Krisenhelfer. Er habe die letzten Monate vor allem damit verbracht, den Menschen zuzuhören und sie zu unterstützen. Unterstützung brauchen fast alle 7.000 Einwohnenden seines Heimatdorfs, denn zwei Drittel der Häuser sind von der Flut beschädigt oder zerstört worden. Und erst langsam können die ersten Menschen wieder in ihre Wohnungen ziehen. Erst vor einigen Tagen öffneten die ersten Geschäfte wieder.
Der größte Handlungsbedarf bestehe zurzeit bei den kommunalen Immobilien, berichtet Tobias Leuning. Nur langsam sei beispielsweise die Bereitstellung einer Lösung für die Grundschule vorangegangen, erst nach den Winterferien können die Kinder in eine über 100 Container große Ersatzschule ziehen. Bisher gibt es noch eine Kooperation mit der Gesamtschule, die aber immer wieder zu Planungsunsicherheiten geführt habe: „Teilweise wussten die Eltern am Samstag oder Sonntag noch nicht, in welchen Räumen die Kinder am Montag unterrichtet werden.“ Auch wenn die ersten Erfolge verzeichnet werden können, Experten der Baubranche rechnen damit, dass es bis zu 10 Jahre dauern kann, bis Swisttal wieder vollständig aufgebaut sei.

Fehlendes Personal: Anträge bleiben liegen
Auf die Frage, was den Bürgerinnen und Bürgern aktuell am meisten fehle, findet er schnell eine Antwort: Geld. Genau dafür wurde vor fünf Monaten ein milliardenschweres Hilfspaket von Bund und Ländern geschnürt, doch vor Ort ist davon nicht viel angekommen. Laut Leuning scheitert es vor allem am hohen bürokratischen Aufwand und dem komplizierten Antragsverfahren: „Ein befreundetes Paar, die als unmittelbare Bachanlieger – die Straße heißt Bachstraße – ihr komplette Erdgeschosswohnung verloren haben, bekam nach Wochen des Wartens auf den Förderbescheid lediglich eine Rückfrage, ob sie denn überhaupt betroffen seien. Ihr Antrag könne nicht bearbeitet werden, weil ein Nachweis fehle. Sowas erzeugt natürlich große Enttäuschung.“ Er fordert eine engere Vernetzung der Behörden zur schnelleren Bearbeitung der Förderanträge. „Dann greift man mal zu Hörer und fragt bei der Kommune nach, ob die Straße wirklich überflutet war, und schreibt nicht nach Wochen so enttäuschende Briefe an Betroffene“, so Leuning.
Solche Probleme sieht auch Thilo Waasem, Landtagskandidat für den Wahlkreis Euskirchen I. Er erklärt: „Die Menschen hier sind nervlich am Ende. Sie mussten die Renovierungsmaßnahmen finanziell selbst tragen, obwohl viele keine Kredite bekommen.“ Er verweist auf das Nachbarbundesland Rheinland-Pfalz, das ebenfalls schwer vom Hochwasser getroffen wurde. Dort laufe die Krisenbewältigung jedoch schneller und erfolgreicher. Das fange bereits bei personellen Fragen an: „In Rheinland-Pfalz gibt es im Innenministerium eine ganze Abteilung, die sich nur um den Wiederaufbau kümmert. In NRW hat der Flutbeauftragte der Landesregierung zu Ende November die Arbeit eingestellt. Und die Bezirksregierungen, die die Anträge bewilligen, sollten zusätzliche Stellen erhalten, die sind aber immer noch nicht da. Wie soll das denn funktionieren, ohne Menschen, die Anträge bearbeiten?“

Auch an ruhigen Tagen wirkt das Ereignis nach
Eine weitere Herausforderung sieht Waasem in der psychologischen Betreuung der Betroffenen: „Das geringste Problem ist noch, dass viele die ganze Nacht das Rauschen des Wassers im Ohr haben. Das viel größere Problem ist, dass die Menschen Traumata haben, weil sie Todesangst erlitten haben. Das merkt man. Diese Stimmung legt sich wie ein Schatten über die ganze Region.“ Eine Risikoanalyse im Kreis Euskirchen zu den Folgen der Hochwasserkatastrophe hat ergeben, dass 8.000 Menschen eine psychologische Beratung bräuchten, die Wartezeiten für eine solche waren schon früher zu lang. Jetzt ist es schlichtweg unmöglich einen Platz zu erhalten.
Auch in diesem Falle lohne sich ein Blick nach Rheinland-Pfalz, erklärt Thilo Waasem: „Dort hat die Landesregierung ein Traumazentrum eröffnet. In NRW macht die Landesregierung gar nichts. Sie hat der Kassenärztlichen Vereinigung 100.000 Euro gegeben, damit diese eine Hotline schaltet. Aber dort wird man an ein ehrenamtliches Netz von Flutopfern verwiesen, die sich selbst organisieren.“
„Frau Scharrenbach ist das Nadelöhr“
Betroffen von der Flutkatastrophe ist auch die Stadt Eschweiler, wo Stefan Kämmerling, Abgeordneter des Landtages, sein Wahlkreisbüro hat. Sein Telefon funktioniert seit ein paar Tagen wieder, am Internet scheitert es noch. Auch wenn sein Büro vergleichsweise glimpflich davon gekommen ist, wurden viele Möbel beschädigt. Fußboden und Tapeten mussten vollständig erneuert werden.
Kämmerling ist Sprecher des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Landtages, der sich mit der Aufklärung der Hochwasserkatastrophe beschäftigt. In diesem Rahmen widmet er sich seit Wochen den Fragen, wie es zu der Katastrophe kommen konnte und warum die Menschen nicht früher gewarnt wurden. Denn nach Einschätzungen der Wissenschaftler Professor Hannah Cloke und Jörg Kachelmann sei das Hochwasser schon Tage vor dem 14. Juli absehbar gewesen. Im Landtag spricht man offen über das Versagen der Landesregierung.
Dieses setze sich laut Kämmerling seit Juli fort: „Die Landesregierung ist in ihrem eigenen Anspruch, den Opfern der Flut schnell zu helfen, gescheitert. Die Landesregierung scheitert jeden Tag daran, das Hilfspaket an die Menschen zu bringen. Die Menschen haben zum Teil schon Mitte September Hilfsmittel beantragt und viele Tausende haben bis heute keinen positiven Bescheid, geschweige denn Geld bekommen.“
Der Leitfaden für die Beantragung der Fördermittel sei missverständlich und tausende Anträge, die trotzdem eingereicht wurden, seien noch immer unbearbeitet. Die Verantwortung dafür macht der SPD-Abgeordnete bei der Landesministerin für Heimat, Kommunales und Bauen aus: „Frau Scharrenbach hat ein Faible dafür, in den Flutgebieten zu erzählen, was gut läuft. Das steht aber diametral die Leistung bei der Auszahlung der Hilfsgelder entgegen. Wenn sie die Auszahlung der Hilfsmittel so engagiert angehen würde wie die Öffentlichkeitsarbeit, wären wir einen guten Schritt weiter.“

Ein Sack Briketts zu Weihnachten
Gerade jetzt kurz von Weihnachten wären gute Nachrichten für die Menschen eine schöne Botschaft. Viele können nicht in ihren Häusern feiern. Vielen hat das Hochwasser den Weihnachtsschmuck genommen.
„Die schwierige Lage ist zuletzt leider etwas aus den Titelzeilen verschwunden“, sorgt sich der NRWSPD-Vorsitzende Thomas Kutschaty. Umso wichtiger sei, „dass das Land jetzt endlich für die Menschen vor Ort handelt.“ Die SPD im Land fordere hierfür eine Vereinfachung des Antragsverfahrens. Für die schnelle Bewilligung der Anträge brauche es auf allen Ebenen zusätzliches Personal. Das werde vor allem in den Kommunen für den Wiederaufbau benötigt. Und Kutschaty macht einen weiteren Vorschlag: „Ich plädiere für die Einrichtung eines Traumazentrums. Das gibt es in Rheinland-Pfalz bereits. Das brauchen wir auch hier.“
Man hilft sich vor Ort. Im Advent finden zahlreiche Spendenaktionen statt, die gerade im Advent stattfinden. Tannenbäume, Weihnachtsschmuck und Kohlebriketts – wenn Weihnachten schon früher eine Zeit des zwischenmenschlichen Zusammenrückens war, dann zeigt sich das vor allem jetzt in den Hochwassergebieten.
Tobias Leuning findet dafür eindrückliche Worte: „Ich engagiere mich jetzt schon seit 15 Jahren in der SPD. Wir schreiben uns überall in Großbuchstaben Solidarität drauf. Aber was das wirklich bedeutet, habe ich erst erfahren, als ich selbst in dieser Katastrophe aufgewacht bin.“
Wenn Ihr die Menschen in den Hochwassergebieten gerade jetzt vor Weihnachten unterstützen möchtet, dann spendet gerne großzügig an dieses Konto:
Empfänger: NRW hilft
IBAN: DE05 3702 0500 0005 0905 05
Bank für Sozialwirtschaft